"Initiative Motorradlärm" Baden-Württemberg

Das, worüber sich Anwohner und Gäste entlang der L 86 und auch der Schönbüchstraße in Sasbachwalden ärgern, gibt es überall im Schwarzwald und auch in anderen Gebieten Deutschlands: Motorradfahrer, die mit besonderer Lautstärke und Geschwindigkeit talaufwärts die kurvigen Strecken befahren und sich an keine Vorgaben halten. Gern gesehen sind stattdessen die Genussbiker, die auch mit normaler Geschwindigkeit und normaler Lautstärke das Motorradfahren und die herrliche Landschaft des Schwarzwalds genießen. Nur 5 bis 10 % der Motorradfahrer halten sich nicht an die Regeln – aber genau diese wirken besonders störend.

Zu diesem Thema hatte die Akademie für Natur- und Umweltschutz Baden-Württemberg am 17. Mai 2019 Experten nach Bernau eingeladen, um zum Thema „Verkehrslärm: Fakten, Bewertungen, Strategien und Lösungen“ zu diskutieren. Der vollbesetzte Saal des Kurhauses zeigte, wie aktuell und auch bedeutend dieses Thema ist. Nicht nur die Gäste in Bernau, sondern vielmehr auch der Vertreter des „Bundesverbands der Motorradfahrer“ waren sich einig, dass hier etwas gegen diese „schwarzen Schafe“ getan werden sollte.

Regierungsvizepräsident Clemens Ficht hatte die Fachtagung mit folgenden Worten eröffnet: „Mit dieser Fachtagung wird das Thema in die Öffentlichkeit getragen und es ist wünschenswert, dass daraus ein lange überfälliger Dialog entsteht. Mit dem Termin kommen Fakten auf den Tisch, wird das Thema von allen Seiten beleuchtet, Strategien und Lösungsansätze dargestellt und die Möglichkeit zum Austausch und Diskussion eröffnet. Wir hoffen, heute erste Lösungsansätze zu definieren“.

Die Lösungsansätze am Ende des Tages konnten sich sehen lassen: Die Lärmbelästigung im Schwarzwald ist vielerorts grenzwertig. Dabei geht es nicht darum, Motorradfahrer aus dem Schwarzwald zu vertreiben, sondern für eine rücksichtsvolle Fahrweise zu werben, den Geräuschpegel über den Gesetzgeber bei der TÜV-Zulassung zu reduzieren und ggf. Strecken im Schwarzwald beispielsweise an Sonntagen für Motorräder zu sperren. Entsprechende Forderungen wurden an die anwesenden Politiker Clemens Ficht, Vizepräsident des Regierungspräsidiums Freiburg, Landtagsabgeordneter Reinhold Pix und insbesondere den Landtagsabgeordneten und Lärmschutzbeauftragten Thomas Marwein gestellt.

Thomas Myck vom Umweltbundesamt Dessau-Roßlau erläuterte die EU-Umgebungslärmrichtlinie und wies darauf hin, dass Lärm europaweit als Stressfaktor erkannt wurde. Wichtig sei, vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen und deshalb Lärmquellen möglichst zu reduzieren. Prof. Dr. med.  Lercher von der Technischen Universität Graz stellte Forschungsergebnisse über die Auswirkungen von Lärm auf die Gesundheit vor.

Wer allerdings davon ausgegangen war, dass sich die Veranstaltungen „gegen die Motorradfahrer im allgemeinen“ richtet, hatte sich geirrt. Denn auch Michael Wilczynski vom Bundeverband der Motorradfahrer war Referent und erläuterte in seinen fachlichen Ausführungen, dass auch sein Verband schärfere Sanktionen für technischen Manipulationen und die Verstärkung von Kontrollen fordere.“ Wichtig sei ihm, die Motorradfahrer zu sensibilisieren, nicht aber zu diffamieren und in die Lösungsfindung weiter mit einzubinden“.   

Christoph Lechner von der Tiroler Landesverwaltung stellte die Ergebnisse von Lärmmessungen vor und betonte den Unterschied zwischen der durch Geräte messbaren Lärmbelastung und der Lärmbelästigung, die subjektiv wahrgenommen wird. In Österreich sei dies über die Erhebung und Auswertung von Fragebögen objektivierbar. So sind in Teilen Tirols als Lösung für die Lärmbelästigung auf Teilstrecken Fahrverbote an Sonntagen angedacht.

Bürgermeisterin Sonja Schuchter stellte schließlich die Kampagne „Silent Rider“ vor, die der Nationalpark Eifel erarbeitet hatte und nun erstmalig der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Für diese Kampagne werden bundesweite Kooperationspartner gesucht, um auf möglichst breiter Basis und mit positivem Image gemeinsam gegen unnötigen Motorradlärm vorzugehen. So wurde der Nationalpark Eifel durch verschiedene Presseberichte zum Thema „Motorradlärm“ auf Sasbachwalden aufmerksam und nahm Kontakt mit Sonja Schuchter auf. Da schnell klar war, dass man gleiche Interessen habe, wurde sie  „beauftragt“, für die Kampagne in Baden-Württemberg zu werben.

„Silent Rider – die Initiative gegen Motorradlärm“ wird professionell von einer Werbefirma aufgestellt. Forderungen sind u.a.: Leisere Motorräder durch Hersteller, drastische Strafen für Manipulationen, Lärmmessungen, Definition von Lärmgrenzwerten, Frontkennzeichen für Motorräder sowie allg. Halterhaftung. Damit sollen die „Easy Rider“ oder sog. „Genußbiker“ willkommen sein, die „schwarzen Schafe“ aber möglichst reduziert werden. Dies wurde bereits während der Veranstaltung vom Bundesverband der Motorradfahrer ausdrücklich positiv bewertet.

Mit einer entsprechenden Website, verschiedenen Veranstaltungen mit Motorradclubs,  Werbeartikeln, Buttons  usw. soll der Wiedererkennungswert in der BRD flächendeckend auf über 90% gebracht werden, um so den nötigen Druck auf die Politik und Brüssel aufzubauen. Dass das Konzept gut ankam zeigte die Tatsache, dass sich noch am gleichen Tag einige Gemeinden zusagten, sich der Kampagne anzuschließen.

Eine positive Mitteilung hatte MdL Marwein im Gepäck. Die nachweislich „erfolgreichen“ Lärm-Displays, die den Lärmpegel anzeigen, werden ab sofort vom Land mit 4.000 Euro bezuschusst. Die Kosten von ca 13.000 Euro pro Gerät reduzieren sich damit auf ca. 9.000 Euro.

Medieninfo Haus der Natur, Feldberg:

Hier finden Sie die weiteren Vorträge aus der Fachtagung in Bernau:

Dr. Stefan Büchner, Leiter Naturschutzzentrum Südschwarzwald - Des einen "Sound" - des anderen "Krach"

 Vortrag Buechner  (pdf - 7,71 MB)

Thomas Myck, Umweltbundesamt Dessau Roßlau - Ruhige Gebiete nach der EU-Umgebungslärmrichtlinie

 Vortrag Myck  (pdf - 3,52 MB)

Prof. Dr. med. Peter Lercher, Technische Universität Graz - Gesundheitliche Kriterien zum Schutz sensibler Gebiete

 Vortrag Lercher  (pdf - 2,24 MB)

Dr. Thomas Coch, Ferienregion Münstertal Staufen - Lärm und Stille des Tourismus

 Vortrag Coch  (pdf - 2,87 MB)

Georg Keller, Schwarzwaldverein - Lärm und Stille aus Sicht eines Wandervereins

 Vortrag Keller  (pdf - 110,06 kB)

Dr. Gerhad Bronner, Landesnaturschutzverband Baden-Württemberg - Motorsportlärm - eine Eklatante Regelungslücke

 Vortrag Bronner  (pdf - 130,55 kB)

Christoph Lechner, Tiroler Landesverwaltung Abteilung Emissionsschutz - Die Motorradlärmstudie Außenfern

 Vortrag Lechner  (pdf - 3,98 MB)

 

Im Juli 2019 wurde auf Initiative des Lärmschutzbeauftragten der baden-württembergischen Landesregierung, Thomas Marwein, und Bürgermeisterin Sonja Schuchter die "Initiative Motorradlärm" mit anfangs 29 Mitgliedern gegründet.

 Pressemitteilung vom 01.08.2019  (pdf - 519,32 kB)

Bis Februar 2020 ist die Zahl der Mitglieder auf 81 angewachsen - 74 Städte und Gemeinden und sieben Landkreise. In einer Landespressekonferenz vom 13.02.2020 stellte die "Initiative Motorradlärm" ihren 10 Punkte umfassenden Forderungskatalog vor. Die Pressemitteilung finden Sie hier:

Das positive Echo auf diese Forderungen war und ist beeindruckend.

Im März 2020 war ein Film-Team des SWR-Fernsehens unter anderem bei uns vor Ort, um Anwohner zum Thema Motorradlärm zu Wort kommen zu lassen.
Hier der Text für die Ankündigung der Sendung:
 
Stuttgart (ots) - Das landespolitische Magazin "Zur Sache Baden-Württemberg" am Donnerstag, 5. März 2020, 20:15 Uhr, SWR Fernsehen in Baden-Württemberg, nach Ausstrahlung in der ARD Mediathek / Moderation Stefanie Germann
Viele Anwohnerinnen und Anwohner beliebter Motorradstrecken fürchten sich davor, wenn im Frühling die Motorräder wieder aus den Garagen geholt werden. Besonders die getunten Modelle sind so laut, dass sich nun 85 Städte und Gemeinden zu einer Initiative gegen Motorradlärm zusammengeschlossen haben. Sie wollen nicht eher Ruhe geben, bis wieder mehr Ruhe einkehrt. Über dieses und andere Themen berichtet das landespolitische Magazin "Zur Sache Baden-Württemberg" am 5. März 2020, 20:15 bis 21 Uhr im SWR Fernsehen.
 
Ziel der Initiative ist, gegen die besonders lauten und auch getunten Motorräder vorzugehen, durch eine gesetzliche Vorgabe und über Halterhaftung auch Bußgelder zu ermöglichen. Der Initiative des Verkehrsministeriums schließen sich nicht nur immer mehr Gemeinden an, sondern mittlerweile auch Motorradclubs. Ein Motorradclub „Leise im Lautertal“ hat sich sogar schriftlich bei mir und dem Abgeordneten Thomas Marwein für diese Initiative bedankt, da auch sie Interesse haben, sich von den „Rowdis“ abzusetzen und als „Genussbiker“ gern gesehene Gäste zu sein.
Alternativ zu unserer Initiative waren  von vielen Städten und Gemeinden Streckensperrungen und Sonntagsfahrverbote angestrebt worden. Diese sind zwar rechtlich nur unter bestimmten Voraussetzungen durchsetzbar, würden dann allerdings alle Motorradfahrer treffen. Ich persönlich möchte das nicht. So sind auch viele Motorradfahrer sich einig, dass man lieber auf „getunte“ Motorräder verzichtet, als auf diese Maßnahmen, die dann alle treffen würden. Zusätzlich besteht die Gefahr, dass einzelne Strecken gesperrt werden und sich dadurch der Motorradverkehr auf die noch offenen Strecken konzentriert. Diese Verdrängung ist ebenfalls nicht erwünscht.
Nachdem über 85 Städte, Gemeinden und Landkreise wie Stuttgart, Baden-Baden, Gaggenau sowie zahlreiche touristische Gemeinden sich der Initiative angeschlossen haben, wird auch nach außen demonstriert, dass man etwas gegen die Lautstärke der Motorräder und nicht gegen die Motorradfahrer unternimmt.

 

Ein großer Erfolg in Richtung Reduzierung der Motorradlärms konnte nun im Mai 2020 verbucht werden:

Der Bundesrat hat sich in seiner Sitzung am Freitag, 15. Mai 2020 mit großer Mehrheit für die wirksame Minderung und Kontrolle von Motorradlärm ausgesprochen. Der Antrag wurde vom Land Nordrhein-Westfalen, nicht zuletzt aufgrund der Forderungen der Initiative Silent Rider, gestellt. Gleichzeitig sind auch die Forderungen der baden-württembergischen "Initiative Motorradlärm" mit eingeflossen. Die diesbezüglichen Pressemitteilungen und den Beschluss des Bundesrats finden Sie hier:

 PM Land Baden-Württemberg  (pdf - 528,57 kB)

 Entschließung Bundesrat  (pdf - 88,25 kB)

 

Aufgrund der Einbringung des Forderungskatalogs in den Bundesrat und dessen Zustimmung am 15. Mai 2020, habe ich unzählige Presseanfragen und auch Anfragen von Bürgermeister-Kollegen erhalten. Mittlerweile hat auch das ZDF über uns berichtet, mit Aufnahmen im Bereich des Lärm-Displays bei der Straubenhofmühle, das in der vergangenen Woche in "heute" und in der "Drehscheibe" gesendet wurde. Interviewpartner war neben mir auch das Ehepaar Spengler, die über ihre Erfahrungen berichteten. Inhalt der Sendung war die Thematik der "zu lauten Motorräder" , die als Belästigung wahrgenommen werden. So wurde klar kommuniziert, dass die "Initiative Motorradlärm" des Landes Baden-Württemberg den Forderungskatalog erstellt hat, um die "lauten Motorräder" zu reduzieren, nicht aber, um das Motorradfahren insgesamt einzuschränken. Ein entsprechendes Interview mit mir hat zusätzlich der SWR-Rundfunk in der vergangenen Woche ausgestrahlt. In der kommenden Woche werde ich der "Zeit-online" ein Interview geben - mit entsprechendem Inhalt. Neben unzähligen Gemeinden haben sich auch zahlreiche Motorradfahrer bei mir gemeldet, die unsere Initiative begrüßen. Ihr Bestreben ist es, weiter unsere wunderbare Gegend mit dem Motorrad genießen zu können, ohne dabei unsere Anwohner und Gäste mehr als notwendig mit Lärm zu belästigen - Die Genussbiker also, die wir weiterhin gerne begrüßen.
 
Grund für das Medien-Interesse an diesem Thema ist aber auch die Nachricht, dass vom 10. Juni 2020 bis 31. Oktober 2020 auf verschiedenen Strecken in Tirol ein Fahrverbot für Motorräder ab 95 Dezibel besteht. Wer hierzu mehr wissen möchte, kann dies über die Links:
 
https://www.tirol.gv.at/verkehr/verkehrsrecht/motorrad-fahrverbot/
 
https://www.spiegel.de/auto/oesterreich-tirol-beschliesst-fahrverbote-fuer-laute-motorraeder-a-d049f6ac-9c2e-48b8-bb82-c4bb5190466d
https://www.motorradonline.de/ratgeber/fahrverbote-oesterreich-offiziell-bestaetigt-laute-bikes-tirol-95-db-2020/
https://www.alpentourer.eu/alpentourer-news/tirol-sperrt-zu-laute-motorraeder-aus/
 
Wir sind gespannt und werden gerne auf die Erfahrungen Tirols zurückgreifen. Zusätzlich wird Dr. Christoph Lechner, Abteilungsvorstand der Tiroler Landesregierung, bei uns in Sasbachwalden nach Corona einen Vortrag zum Thema Lärm bzw. Lärmbelästigung geben. Herr Dr. Lechner war bereits Referent bei verschiedenen Veranstaltungen in Baden-Württemberg zum Thema "Lärmbelastung und Lärmbelästigung". Auch darauf dürfen wir gespannt sein.